Blue Flower

Portrait Christian Niehaus 2017 

Ein großes Ziel hat er ins Auge gefasst: noch einmal das Trikot der deutschen Nationalmannschaft überstreifen. Ausgerechnet am Wochenende des Nachtuhlenrennens seines Vereins RSC Stadtlohn muss sich Christian Niehaus im Paracycling beim Weltcup im niederländischen Emmen beweisen – und für das Trikot qualifizieren.

„Wenn ich in Emmen Platz fünf oder sechs erreiche, dann könnte mich der Bundestrainer Ende August mit zur WM nach Südafrika nehmen. Die Konkurrenz ist aber enorm und teils viel jünger, ich muss mich als Mitglied des Perspektivkaders präsentieren“, erklärt der Weseker, der während seiner gesamten Karriere für den RSC an den Start gegangen ist. Er ist gut drauf, konnte er jüngst seinen Deutschen Vizemeistertitel erfolgreich verteidigen.

Die Karriere der 40-Jährigen begann in den späten 1980er-Jahren, als er sich auf das neue Rad des Vaters setzte. Bereits 1991 fuhr er die ersten Jugend-Rennen, 1993 wurde er Westfalenmeister in der Junioren-Klasse. Das Besondere: Der 40-Jährige kam mit einem Klumpfuß zur Welt. Sein rechter Fuß verfügt kaum über Muskulatur, sein Sprunggelenk ist versteift. „Mein Klumpfuß hat schon erhebliche Auswirkungen auf meine Leistung. Ich bringe 60 Prozent der Kraft mit dem gesunden linken Bein auf, während das rechte nur 40 Prozent liefert. Ich muss also mit dem gesunden Bein sehr viel kompensieren, vor allem, da die Kraft im rechten Fuß oft zur Seite weggeht und ich sie nicht auf das Pedal bringen kann.“ Übrigens: Durch seine Behinderung fand Christian Niehaus auch zum beruflichen Weg. 2003 schloss er seinen Meisterkurs an der Bundesfachschule für Orthopädie-Technik (BUFA) in Dortmund ab. In einem Bocholter Sanitätshaus ist er Spezialist für Prothetik und Orthetik. Nach Unterbrechungen wegen Hausbau, Knie-OP und Meisterschule hatte er mit einer Teilnahme am Nachtuhlenrennen 2010 in seiner Heimat eigentlich mit dem aktiven Rennsport bei den Amateuren abgeschlossen. Platz 19 war es noch einmal in der C-Klasse geworden.

Das Comeback kam: „Da ich beruflich viel mit Behinderten in Kontakt gekommen war, habe ich irgendwann wieder Lunte gerochen und mich in Hamburg für das Paracycling klassifizieren lassen.“ Der Einstieg war schwer – er kämpfte sich rein, auch in die Deutschen Meisterschaften 2014. Seit vier Jahren kann er sich nun wieder voll auf seine Leidenschaft konzentrieren. Rund 12000 Kilometer im Jahr fährt Christian Niehaus auf seinem Rennrad heute, um Mitglied der Weltspitze im Paracycling zu bleiben. Das klingt kurios, ist er aktuell doch gar nicht Kaderfahrer. „In meiner Klasse ist die Konkurrenz in Deutschland enorm.“ Zum Hintergrund: 2016 hatte Niehaus die Paralympics in Rio nur knapp verpasst, der Bundestrainer hatte angesichts der Konkurrenz und des beschränkten Budgets über alle Klassen gar Weltmeister zuhause lassen müssen.

Wie bei den Paralympics gibt es verschiedene Leistungsklassen, im Paracycling für die Disziplinen Handbike, Tandem, Dreirad und Rennrad. „Ich fahre in der Rennrad- Klasse „C“, die noch einmal in fünf Unterklassen unterteilt ist. Ich trete in der Klasse C5 an, der Klasse für die Fahrer, die am wenigsten beeinträchtigt sind. Die Rennen meiner Klasse finden gemeinsam mit der Klasse C4 statt, in der sich zum Beispiel die Fahrer mit Amputationen befinden. Beide Klassen zusammen umfassen etwa 60 bis 70 Fahrer mit rund zehn richtig guten deutschen Sportlern.“ Gerade in seiner Klasse sei das Paracycling Hochleistungssport mit sehr schnellen Rennen, die zum Teil auf C-/B- oder A-Klasse-Niveau liegen. Und ob die Einstufungen immer gerecht seien, könne man objektiv nur schwer beurteilen.

Um seine hohen Ziele zu erreichen, arbeitet er hart: rund 15 Stunden die Woche, im Sommer kommen die Rennwochenenden dazu. Im Winter würden die Abende nicht minder lang. Gegen 18 Uhr kommt er nach Hause, kümmert sich um die Tochter. Ohne die Rückendeckung der Familie ginge es gar nicht. Ab 20 Uhr geht es bei den Eltern „auf die Rolle und an die Geräte“, bis in die Nacht hinein, dreimal die Woche. Im Sommer zählen Amateur- und Trainingsrennen in den Niederlanden zum Programm – meist auch unter der Woche. In dieser Saison standen im Schwerpunkt Paracycling neben der DM primär die Weltcups in Italien – dort fiel er aus – und in Ostende (Belgien) an.

Beim dritten Weltcup-Anlauf Ende des Monats in Emmen gilt es nun, Farbe zu bekennen. „Es zählen allein die Ergebnisse - auch um für Sponsoren interessant zu bleiben. Ich soll aggressiv fahren.“ Die Konkurrenz ist enorm – es gibt international eine „Magische Fünf“ mit jungen Fahrern, die ganz nebenher bei der U23-WM der Vollprofis mitrollen. Niehaus ist voll berufstätig. Die Form stimmt: Bei der DM an Pfingsten wurde der Familienvater durch jeweils zweitschnellste deutsche Zeiten im Zeitfahren und Straßenrennen parallel Europacup-Sieger in der Klasse C5. Die Kosten trägt er derzeit selbst: „Da kommt schon einiges zusammen.“ Umso wichtiger wäre die Förderung als Nationalfahrer, ein erster eigener Sponsor ist Wertschätzung für die enorme Leistung und den zeitintensiven Aufwand.

Er will sich aggressiv stellen bei Zeitfahren am Freitag und Straßenrennen am Samstag (30. Juni/1. Juli) – und sich „an den starken Holländern festbeißen“. „Das RSC-Trikot macht sich ganz gut zwischen den ganzen Nationaltrikots“, spürt man die Vorfreude. Er würde dieses aber liebend gerne einmal eintauschen. So könnte auch der Traum von den Paralympics 2020 in Tokio weitergelebt werden. „Sonst muss man sich bei dem Aufwand als Familienvater irgendwann auch einmal die Frage stellen, ob man andere Prioritäten setzt.“ Da stehe er auch bei seiner Frau im Wort…

Christian Nienhaus Podest

Christian Nienhaus 2017

Töperei Erning

„Nachtuhlen“ drehen sich auf der Töpferscheibe 

STADTLOHN Ganz vorsichtig greifen die großen Hände von Bernhard Erning nach dem kleinen Ton-Rohling. Sachte hebt der 65-Jährige das Objekt hoch, hält es gegen das Licht: "Man kann momentan nur die Form der Uhle erkennen, die Details müssen jetzt nach und nach eingearbeitet werden."

 Mit ihren großen Augen sind die Rohlinge bereits als Nacht-uhlen zu erkennen. Foto: Susanne Menzel

 

Berhard Erning ist Töpfermeister. Handwerker. "Kein Künstler", lacht er. Und als Handwerker fertigt er seit vielen Jahren die Siegerpokale für das Stadtlohner Nacht-Radrennen: Die so genannte "Nachtuhle".

Der Töpferbetrieb in Stadtlohn, so erzählt der Senior stolz, hat lange Tradition: "Nachweislich gibt es uns seit mehr als 250 Jahren. Von da ab gibt es jedenfalls schriftliche Aufzeichnungen als Nachweis. Aber ich bin sicher, schon viel früher haben meine Vorfahren mit Ton gearbeitet." Von Sohn zu Sohn ist das Unternehmen weitergegeben worden. Bislang. "Meine Kinder, ein Sohn und eine Tochter, haben beruflich andere Interessen." Einen Nachfolger hat Bernhard Erning bisher nicht gefunden: "Vielleicht ergibt sich ja noch was. Es wäre schön, wenn es die Ernings weiter gäbe. Viele Töpfereien in Stadtlohn haben ja inzwischen geschlossen. Um die Jahrhundertwende gab es hier noch acht Werkstätten. Wir sind davon als einzige übrig geblieben."

Nützliche Alltagsobjekte

Er selbst hat das Handwerk von der Pike auf gelernt, seinen Gesellen- und seinen Meisterbrief erworben. "Das Töpfern ist eigentlich auch eher ein Männerberuf", ist sich der Stadtlohner sicher. "Frauen üben in diesem Metier eher die dekorative Seite aus, sind auch feinmotorisch fitter im Zeichnen. Aber wer wie ich mit dem Handwerk Geld verdienen will, der muss sich an nützliche Alltagsobjekte wagen. Und die sind größer und schwerer und für Frauenhände nicht so leicht zu stemmen."

Die Standbeine des Betriebes sind neben Einmach- und Brottöpfen weitere Aufbewahrungen für Lebensmittel, aber auch der Fußbodenbelag. "Die Stadtlohner Riemchen sind bekannt", verweist Bernhard Erning auf sein Vorzeigeprodukt.

Produktion in Serie

Fünf Menschen - den Inhaber eingeschlossen - stehen bei der Töpferei in Brot und Arbeit. "Eigentlich könnte ich auch ausbilden", sagt der Chef. "Das habe ich früher immer gerne gemacht. Nur heutzutage finde ich niemanden mehr. Die meisten wollen sich die Hände nicht schmutzig machen." Oder, so weiß der 65-Jährige, die Lehrlinge wollen eher ihre künstlerische Ader ausleben: "Bei uns gibt es keine Einzelstücke, hier gehen die Sachen in Serie. Will sagen: Es werden oft die gleichen Dinge produziert. Und das ist dem Nachwuchs dann wiederum zu langweilig."

Wobei Serie für Bernhard Erning nicht heißt, dass nach Schablone gefertigt wird. Die Nachtuhlen, die Nachteulen, beispielsweise, die er seit vielen Jahren anstelle von Siegerpokalen für den Stadtlohner Radsportklub herstellt, fertigt er Stück für Stück frei Hand: "Die Skulpturen, auch als Windlicht nutzbar, sind in der kleinen Form aus einem Guss. In der 80 Zentimeter großen und gut zehn Kilo schweren Form sind sie aus drei Teilen zusammengesetzt", verrät der Meister. Zwei, drei Stunden dauert es, bis eine Eule modelliert, gebrannt und lasiert ihre Endfassung erreicht hat.

Handwerkliches Herzblut

Und damit auch Nicht-Radfahrer dem Ruf der Eule folgen und sie bei Gefallen in den eigenen Garten stellen können, produziert Bernhard Erning jedes Jahr auch gleich ein paar mehr der tönernen Objekte. Nicht künstlerisch, handwerklich - aber mit viel Herzblut.

Das Nachtuhlenrennen (Stadtlohner Kriterium) startet am Freitag, 1. Juli, um 18 Uhr mit den Schülern U13, gefolgt von den Schülern U15, U17 und U19. Ab 20 Uhr treten die Hobbysportler über 20,4 Kilometer in die Pedale. Die C-Klasse geht um 20.45 Uhr an den Start, die KT sowie A-/B-Klasse um 22 Uhr.

Sieben harte Monate hatte ich mich auf die Paracycling DM Ende Mai vorbereitet. Seit Januar 2016 arbeitete ich zusammen mit meinem Trainer Manfred Munk ( Cycling Coach Lab in Münster ) an einer soliden Grundlage. Streng nach Trainingsplan spulte ich bei fast jedem Wetter die Trainingseinheiten nach vorgegebenen Watt-Werten ab. War das Wetter zu schlecht, ging es auf die Rolle. 

Ende April fuhr ich dann noch mal mit einem kleinen Team in das Trainingslager nach Mallorca. Dank der soliden Grundlage und der fortgeschrittenen Saison konnte ich mit den langen Trainingseinheiten in den Bergen auch schon viele schwere Intervalle fahren.

Zurück in Deutschland stand zunächst eine Woche Regeration an und zum weiteren Formaufbau noch einige schnelle Amateurradrennen. Den letzten Härtetest vor der Deutschen Meisterschaft absolvierte ich bei der Landesverbandsmeisterschaft in Bielefeld. 

Saisonziel Deutsche Meisterschaft
Samstagnachmittag stand das Einzelzeitfahren in Elsdorf auf dem Terra Nova Speedway am Rande eines Braunkohletagebaus an. Der starke Wind machte es allen Fahrern nicht leicht.
Um 15:19 Uhr wurde der Start von der Startrampe für mich frei gegeben. Nach der Beschleunigung auf Tempo 50 packte mich der Wind direkt von vorn. Es war wichtig, die Watt-Werte im Auge zu behalten und die Muskeln nicht zu übersäuern. Tief auf dem Aerolenker konnte ich recht schnell einen Fahrer einholen und fuhr mit guter Krafteinteilung auf den Wendepunkt der 20 km zu.
Auch den zwei Minuten vor mir gestarteten Fahrer vom BSV München konnte ich überholen und rollte mit großem Vorsprung ins Ziel ein.
Am Ende war es für mich die schnellste Zeit der deutschen C5. International landete ich hinter Martin Van de Pol (NED) und Kasper Sörensen (DEN) auf Platz drei.

Wichtiger für mich war aber das Straßenrennen am Pfingstmontag in Köln Longerich. Im Rahmen der Cologne Classic wurde auch dort wieder der Deutsche Meister der C4-C5 Klasse gesucht.

Nach meinem vierten Platz aus 2015 wollte ich unbedingt das begehrte Trikot des Deutschen Meisters haben.
Der Start erfolgte pünktlich um 9 Uhr auf einem 2,2 km langen und leicht welligen Rundkurs in Köln Longerich. Auch dieses Rennen wurde international gefahren und zählte zum Europacup!

Alle deutschen Fahrer belauerten sich ständig, was man am Tempo deutlich sehen konnte. In der achten Runde nutzte ich aber die Möglichkeit zu einer Attacke und fuhr schnell einen großen Vorsprung heraus. Plötzlich war sich das Fahrerfeld wieder einig und machte Tempo, so dass mein Vorsprung nicht lange hielt. Einige Runden später versuchte ich es noch mal, merkte aber sehr schnell, dass es keinen Sinn machte und ich mich lieber für den Endspurt schonen sollte. Wie schon gedacht, kam es dann zum Massenspurt auf der sehr langen Zielgerade. Gut positioniert am richtigen Hinterrad wurde dann durch den ehemaligen Deutschen Meister der Sprint eröffnet.

Am Zielstrich reichte es dann zu Platz zwei und somit zum  Deutschen Vizemeister 2016.

Zum Sieg fehlten mir leider etwa zehn cm, ich war aber überglücklich über meinen Erfolg!

Im Europacup wurde ich dritter hinter Kasper Sörensen (DEN) und W. Marquart (GER).